Dienstag, 10. Mai 2016

Review: Luciente - Luciente

"Makellos sind nur Ideale."


Luciente - Luciente
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Jeder bereut regelmäßig mal etwas. Die erste Freundin. Den neuen Haarschnitt. Oder aber eine ganze Habanero auf einmal gegessen zu haben. In meinem Fall ist es die Tatsache, dass ich damals nicht zu einem lokalen Metal-/Hardcore-Konzert gegangen bin. Grund dafür waren die Bandnamen auf dem Flyer. Ich weiß, man soll ein Buch niemals nach dem Umschlag beurteilen, aber bei Failed Suicide Plan musste ich permanent an klischeehaftes Deathcore-Gedöns denken.

Selbige heißen nun Luciente. An der Musik hat sich eigentlich nicht groß was geändert - und das ist auch gut so, denn das in Thüringen ansässige Quartett hat so gar nichts mit 0815-Deathcore am Hut. Hier wird ehrlicher Post-Hardcore mit deutlichen Screamo-Anteilen gespielt. Dabei erinnern mich die Jungs stark an die leider aufgelösten Afterlife Kids und ab und an sogar ein bisschen an (die alten) Escapado. Die Songs des selbstbetitelten Debüts sind in ein dunkles, raues Soundgewand gehüllt und wechseln zwischen stampfenden Downtempo-Parts, verspielten disharmonischen Arrangements, schnellen Punk-Beats und irrer Blast-Raserei. In ruhigeren Gefilden halten sich Luciente nicht lange auf, doch sickern immer wieder eingestreute Melodiefetzen von der Gitarrenfraktion durch, die viel zum Gesamtcharakter des Albums beitragen. Dazu werden von einer brachial shoutenden, manchmal aber auch growlenden oder blackig keifenden Stimme oftmals sehr kurze deutschsprachige Lyrics dargeboten, die in ihrem Pathos mit Caleya zu vergleichen sind. „Das Unerträgliche ist, dass nichts unerträglich ist.“, heißt es auf dem Track Das Unerträgliche, was wohl eine der besten Textpassagen ist, die ich in letzter Zeit hören durfte. 

Das Ganze wurde auf einer wunderschönen 12“ Schallplatte verewigt, die mit einem aufwendig gestalteten DIY-Cover daherkommt. Wer sich die Scheibe holt, wird also nicht nur in den Genuss kommen, mitreißenden Screamo auf der Anlage zu hören, sondern auch einen liebevollen Augenschmaus in den Händen halten. Vielleicht lehrt dies den ein oder anderen, sich beim nächsten Mal nicht so voreilig vom Bandnamen abschrecken zu lassen…

- Christian (und auch ein bisschen Hannes) 


Wertung:



P.S.: Ich such mir jetzt schon etwas länger einen Wolf und finde einfach nicht, wo man die Vinyl-Version kaufen kann. Geht auf ein Konzert und holt euch das Ding am Merch-Stand oder schreibt den Boys mal eine Mail bzw. Facebook-Nachricht! - Das lohnt sich wirklich!

Links:

Montag, 2. Mai 2016

Review: leaves. - ...bleibt das jetzt für immer?

"Warten... auf nichts."


leaves. - ...bleibt das jetzt für immer?
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Lange lassen uns unsere Freunde von leaves. nicht warten. Sofort dröhnt das Quietschen aus dem Verstärker. Eine kratzende Stimme folgt. "Vergessene Erinnerungen verwalten. Den inneren Speicher abschalten", heißt es, bevor das Jenaer Trio uns gewaltigen Post-Hardcore um die Ohren knallt. Früh merkt hier der Spaß-Punker, dass er an der falschen Adresse ist. Stattdessen gibt es gleich an der nächsten Ecke eine Überraschung: leaves. gewähren uns nicht einmal eine Minute lang Zeit, da ertönt ein weiteres Stimmlein. Hier haben wir auch schon das wichtigste Alleinstellungsmerkmal der Band. Während andere Gruppen dieser Musikrichtung oftmals nur einen Sänger vorzeigen können, der sich bemüht, so genau wie möglich seinen Lieblingsgenregrößen nachzueifern und dabei in die totale Beliebigkeit abrutscht, finden wir bei leaves. gleich zwei absolut charaktereigene Stimmen. Diese bringen die wütende Grundstimmung und düstere Melancholie des Debüt-Albums perfekt zur Geltung.


Wo wir auch schon bei der Thematik wären. In oftmals sehr kurzen und kryptischen Zeilen fangen die Jungs persönliche Geschichten ein oder weisen auf aktuelle soziale Missstände hin. Sei es die verlorene Freundschaft bei 1999, die Schwierigkeit des Erwachsenwerdens in einer vom System bestimmten Gesellschaft bei kinder ≠ menschen oder ein Statement zur anhaltenden Flüchtlingsthematik auf tausende. Gerade das letztgenannte Stück zeigt äußerst eindrucksvoll, wie man kurz, aber effektiv ein Problem auf den Punkt bringen kann: "Tausende flüchten und tausende sterben." Es geht hier nicht um irgendwelche Zahlen oder Statistiken. Es gibt nichts zu diskutieren. Es geht hier einfach um Menschlichkeit, die schon viel zu lange auf der Strecke bleibt. All diese Geschichten werden solide zwischen bebenden Wänden aus breiten Gitarren, dem laut abgemischten, verzerrten Bass und den die Songs schnörkellos vorantreibenden Drums verpackt. So ergeben sich wie beispielsweise bei ausrasten (jetzt) harte Mosh-Parts, aber auch ruhigere Post-Rock-Passagen, wie beispielsweise im Outro von veritas. Letztere bringen jedoch vielleicht auch ein Manko mit sich: Der neunte und komplett instrumental gehaltene Song blessur bremst gegen Ende hin das Album etwas ein.


Unterm Strich bieten uns leaves. eine halbe Stunde chaotischen Punkrock mit minimalen, aber effektiven Texten. Dabei wird die Wut, Trauer und Ratlosigkeit in fast jedem Moment perfekt in Szene gesetzt.

- Christian



Wertung: